Ich habe genug! Wenn ich noch einmal bei einer Fachveranstaltung einen Vortragenden über die ungeahnte Relevanz eines Social Media (Sub)Themas berichten höre, nagle ich den betreffenden Vortragenden mit rostigen Nägeln an die Wand. Meiner Beobachtung nach dreht sich Social Media Land seit (mindestens) einem Jahr im Kreis. Es wird endlich Zeit, dass wir beginnen dort anzusetzen wo Social Media Mehrwert entwickeln, bei den Inhalten.
Es ist unpackbar wie viele Leute unheimlich gescheit sind wenn es um Social Media geht. Ich möchte nicht missverstanden werden, selbstverständlich hat die professionelle Beschäftigung mit den verschiedenen Social Media Themen ihre Berechtigung und Notwendigkeit. Schließlich ist sie das Fundament der späteren Weiterentwicklung des Breitenpublikums – und natürlich braucht es Vordenker. Mittlerweile sollte, aber auch der hinterletzte Social Web Verweigerer in den Unternehmen da draußen gecheckt haben, dass er am Thema nicht mehr vorbei kommt. Wenn nicht, wäre eventuell eine Personalentscheidung zu überdenken.
Wo ist die Leichtigkeit?
Was mir abgeht ist die Leichtigkeit die dem Umgang mit sozialen Netzwerken inne wohnt. Wenn ich mir so anhöre was da bei verschiedensten Veranstaltungen, für verschiedenste Zielgruppen vom Stapel gelassen wird, frage ich mich wann die Beschäftigung mit Social Media derart komplex geworden ist. Meiner täglichen Lebensrealität entsprechen diese Ergüsse nämlich so gar nicht. Auch was die Empörung der letzten Wochen, hinsichtlich der Monetarisierungsambitionen von Facebook angeht (Stichwort: promoted posts) frage ich mich, wie eindimensional das gesamte Portfolio betrachtet werden kann. Klar will Facebook ordentlich abkassieren, aber ohne Inhalte funktioniert das System halt dann doch nicht. Inhalte sollten nach wie vor im Zentrum der Bemühungen stehen, aber genau darüber spricht kaum einer der Experten da draußen. Da gehts um Edgerank, Graphrank, Conversions, Wachstumsraten, Monitoring, Guidelines, Shitstorms (alles Themen die überlegt werden sollten, aber meiner Überzeugung nach nicht das Kernthema sind) und man könnte tatsächlich zur Überzeugung gelangen, dass erfolgreiche Kommunikation im Social Web nur noch gegen Bezahlung möglich ist. Ich weiß nicht wie es euch geht, liebe Kollegen, aber mir raubt das die Freude an meiner Arbeit.
Kulturtechnik Social Media
Im Bullshit-Bingo ganz vorne: die Erklärung von Social Media zur Kulturtechnik. Ich stelle das nicht in Frage, aber betrachtet man die Kulturtechnik „schreiben“, dann lernen wir ja auch nicht zuerst die Grammatik-Regeln, sondern wie die Buchstaben aussehen. Auf das Social Web übersetzt heißt das, die Kommunikatoren sollen erst mal lernen wie sie mit Inhalten (Foto, Video, Text, …) in verschiedenen Netzwerken umgehen, bevor sie sich mit Werbeanzeigen, aufwändigen Zusatzprogrammierungen und Feintuning auseinander setzen. Wenn ich mir ansehe wieviel Scheiße da jeden Tag (vor allem von Unternehmen – und viele davon lassen sich betreuen) gepostet wird, frage ich mich ob dort jemand verstanden hat, dass es letztendlich um Interaktion geht. Aus Erfahrung weiß ich wie schwierig es manchmal ist, zu Kunden durchzudringen (und das Übernehmen der Kommunikation für Kunden habe ich stets abgelehnt, da kommt zwangsläufig nix gescheites dabei raus, zwegen der vielbemühten Authentizität wär es mal wieder), aber vielleicht wäre es gescheiter, wenn sie es nicht verstehen, gleich ganz aufzuhören (oder zumindest nochmal besonnen von vorne zu beginnen).
Für Agenturen und Berater ist diese Blindheit ja ein einträgliches Geschäft. Als Einäugige unter den Blinden lassen sich da super Produkte schnüren und damit gutes Geld verdienen. Leistung soll auf jeden Fall etwas wert sein, aber zeitweise frag ich mich schon ob die erbrachte Leistung sinnvoll weiterverarbeitet wird. Hier sind vor allem auch die Externen gefordert für mehr Qualitätsbewusstsein einzustehen.
Hören wir auf Scheiße zu produzieren
Daher die Aufforderung: Lasst uns endlich aufhören gescheit zu sein, und konzentrieren wir uns wieder darauf, was den Mehrwert sozialer Netzwerke wirklich ausmacht. Gut gemachte, interessante Inhalte – mit einfachen Mitteln bringt man da schon was lässiges zusammen (siehe hier).
Hören wir auf Scheiße auf niedrigem Niveau zu produzieren („Wir wünschen euch ein schönes Wochenende“) und fördern wir die Produktion guter Inhalte. Lernen wir gemeinsam die Kulturtechnik zu nutzen, aber (noch) nicht in den Detailfragen, sondern an der Basis. Je mehr Produzenten da draußen zu finden sind, die ein attraktives inhaltliches Angebot bieten, desto interessanter wird es auch wieder, sich über genau diese Inhalte und die Learnings daraus zu unterhalten. Luft nach oben ist genug.
Dieselbe Diskussion gibt es auch im SEO-Bereich. Hier wird über Ranking, PageRank, Linkjuice, nofollow und trust gesprochen, aber es wird vergessen, dass die guten Sachen von selbst gut ranken und sich viel, viel einfacher verbreiten lassen.
So und jetzt möchte ich nicht mehr schreiben – dieses Hellgrau hier im Kommentarfeld kann man kaum lesen.
YES! YES! YES!
Hallo wütender Teddy …
was mir bei Deinem Versuch der Leichtigkeit der rostig ans Kreuz genagelten fehlt, ist Dein zwinkerndes Auge und der SPASS am TUN in Social Media und miteinander. Insofern toller Artikel, aber mindestens so Kluggeschissen, wie die über die Du schreibst ;-))
Schönen Sonntag.
… der MiSha 😉
Wie auch auf Twitter bereits zurückgemeldet:
@networkfindercc ich meins auch ziemlich ernst, Spaß mmn ist nicht notwendigerweise ein Qualitätsfaktor
Absolut richtig! Es fehlen oft die einfachsten Grundverständnisse. Danke für den Beitrag.
Super auf den Punkt gebracht. Allerdings beobachte ich, dass interessante Inhalte oft weit weniger Interesse in den Netzwerken und vor allem Interaktion finden als persönliche, witzige oder banale. Entweder ist die Menschheit schon so drauf (muss man sich nur mal das Fernsehprogramm und den Verfall der Sprache ansehen) oder Medium und Zielgruppe passen da nicht immer zueinander. Ich meine auch, ohne werthaltige Inhalte geht gar nichts. Weder in Social Media noch bei SEO oder sonstwo in Kommunikation und Marketing. Das Persönliche und Banale ist wichtig. Da macht uns menschlich. Aber ich sehe das eher als Zuckerguss auf dem Kommunikationstörtchen, nicht als Hauptinhalt. Denn wenn jeder nur von sich und seinen Wehwehchen spricht, langweilt das auch im ganz normalen Leben. Irgendwann hört keiner mehr zu.
Danke Dir für diesem Artikel voller Wahrheit! Du sprichst mir aus der Seele. Interaktion umschreibt mittlerweile das hirnlose Klicken von Scheinmenschen. Wenn ich höre, dass jemand mehr Interaktion auf seiner Fanpage möchte, dann möchte ich ihm am liebsten einen Schimpansen andrehen, der für Bananen auf seiner Timeline rumklickt. Das tuts auch. Wo ist das Interesse am wirklichen Austausch geblieben? Der Begriff Netzwerken ist mir mittlerweile viel zu werbeorientiert. Zuerst geben und dann nehmen, aber ohne Hintergedanken, dass das dieses Vorgehen eine Marketingmasche ist, um was zu bekommen. Wirkliches Geben scheint im Denken nicht mehr existent. Ich glaube es happert schon bei vielen Unternehmen an der Grundausrichtung. Der eigene Profit ist Triebfeder des Unternehmens und nicht der Nutzen für die Kunden. Und es gibt Unternehmen, die haben das begriffen. Wenn dann noch Social Media Berater kommen, die diesem Profitdenken Vorschub geben, dann verkommen soziale Netzwerke zu Spielplätzen mit Zahlen – dazu braucht man dann keine Menschen mehr. Ist ja jetzt schon der Fall, wenn man sich das Phänomen der Fankäufe ansieht.
gerade erst gesehen, aber trotzdem noch: danke 😉